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Thailand II: Kunst aus der Küche

Aktualisiert: 7. Dez.

Peti und Nate Kulsirorut in ihrem Restaurant „Hemlock“
Peti und Nate Kulsirorut in ihrem Restaurant „Hemlock“


Draußen ist das lärmende Bangkok, die Khaosan Road liegt ums Eck mit den fliegenden Händlern und den Saufschuppen. Drinnen läuft Jazzmusik, Kunst hängt an den Wänden und der Wein ist von ausgesuchter Qualität. Draußen gibt es für neugierige Touristen knusprige Kakerlaken oder Maden am Spieß. Drinnen wird „authentische Thai-Küche“ nicht nur versprochen, sondern auch serviert. „Vier-Sterne-Essen zum Ein-Sterne-Preis“, sagt Peti Kulsirorut und lacht sein leises Lachen. „Das muss man sich auch als Gast verdienen.“


Tatsächlich ist das „Hemlock Art Restaurant“ im Gewühl der Gegend leicht zu übersehen. Zudem wacht Kao, der weiße Hund, meist noch wie Zerberus vor dem Zugang. Hinter der Glastür aber liegt ein Ort wie aus einem Murakami-Roman - aus der Zeit und aus dem Raum gefallen. Er wird umtost von stetem Wandel und Kommerz, und ist im Innern so still, dass ungestört der Geist aus alten Tagen wehen kann. Im Detail mag das bisweilen auch befremdlich wirken. Plastikdecken auf den Tischen können nicht bei jedem als Kulturgut durchgehen. Ebenso wenig die verstaubten Pflanzen, die den kleinen Gastraum mit sechs Tischen noch einmal in der Mitte teilen. Aber all das gehört wohl zum Gesamtkunstwerk, das Peti Kulsirorut und seine Frau Nate hier seit mehr als 30 Jahren pflegen.


1994 haben sie das Hemlock eröffnet, nur einen Steinwurf entfernt von der Bangkoker Thammasat-Universität. Dort hatte Peti Kulsirorut zuvor aus Pflichtgefühl Finanzen und dann aus Neigung Philosophie studiert. Vor allem aber hat er sich als Aktivist betätigt, als Kämpfer für die Demokratie. „Ich war Präsident der Studentenvereinigung“, sagt er, „und ich war beim ,schwarzen Mai‘ dabei.“


Als politischer Aktivist hat man es nicht leicht in Thailand, wo das Militär stets putschbereit in den Kulissen steht und Kritik am Königshaus mit langen Haftstrafen geahndet wird. Im Mai 1992, dem schwarzen Mai, war Peti Kulsirorut ganz vorn dabei, als 200.000 Menschen gegen die Machtübernahme der Generäle protestierten, als die Sicherheitskräfte in die Menge schossen und das Blut die Straßen rot färbte.


Danach hat er wohl genug gehabt vom Protest. „Ich habe beschlossen, in die Kultur zu wechseln“, sagt er. Dafür hat er den Laden angemietet, ein Restaurant mit angeschlossener Kleinkunstbühne im Obergeschoss für Livemusik von Jazz bis Klassik, für Theateraufführungen, Kinoabende und Diskussionsrunden. „In Thailand war das damals etwas ganz Neues“, sagt er. „Es ist immer noch ein Treffpunkt für Intellektuelle und für Künstler.“


Der Name musste natürlich programmatisch sein - er ist allerdings eher was für Eingeweihte. Hemlock nämlich, der gefleckte Schierling, lässt sich höchstens in der Hexenküche verwenden. Hochgiftig ist das Kraut und tödlich. Man weiß das spätestens, seit Sokrates den Schierlingsbecher trank - zum Tode verurteilt, weil er die Jugend Athens verdorben haben soll mit seiner Philosophie. „Ich verehre Sokrates“, sagt Peti Kulsirorut. „Er hat darauf bestanden, die Welt besser zu machen, und er hat dazu gestanden bis zum Schluss.“


Wer vom Namen des Restaurants aufs Essen schließt, sollte also auch im Sinne des Betreibers besser fern bleiben. Für alle anderen aber bietet der philosophiefeste Wirt ein thailändisches Essen der Extraklasse. Jenseits von Glutamat und sonstigen Geschmacksverstärkern hält man hier die Balance aus scharfen, sauren, süßen und salzigen Aromen. Gegrillt, gebrutzelt oder gedämpft wird das Kochen im Hemlock als Kunst verstanden, und zwar im größtmöglichen Umfang. Die Speisekarte ist so dick wie ein Kaufhaus-Katalog: 44 Seiten voller Köstlichkeiten, gewürzt mit einer Prise Eigenlob. Denn hinter den Gerichten sollte man auf die englischen Abkürzungen achten: „G“ zum Beispiel steht für Great, „PBT“ für Probably the Best in Thailand.


Über seine Küche spricht Peti Kulsirorut mindestens genauso gern wie über Politik und Kunst. Am Ende ist das für ihn sowieso alles eins, vereint an diesem Ort, zusammengerührt am Hemlock-Herd. Beim Pad Thai, dem überall angebotenen Klassiker aus Reisnudeln, ist er überzeugt, zu den Top Ten in Thailand zu gehören. „Unsere Sauce macht es so speziell“, meint er. „Es kommt vor allem aufs Tamarind an.“ Bei seinem Mango Sticky Rice preist er die besonders weiche Textur der Körner an, dank der richtigen Dosierung der Kokosmilch.


Doch am meisten Stolz steckt im Massaman Curry, bei dem schon auf der Speisekarte vermerkt ist, dass es 2014 bei einer Wahl von CNN zum „besten Essen der Welt“ gekürt worden ist. „Mindestens 20 verschiedene Gewürze kommen in die Sauce“, verrät er. „Im Idealfall schmeckt sie ähnlich wie ein Brandy.“ Angeboten wird das Curry mit Hühnchen, mit Rindfleisch oder - als oberste aller Spezialitäten - mit Krokodil. Auch das gehört zur Traditionspflege. „Wir Thailänder haben immer an Flüssen gelebt. Das ist Dschungel-Küche“, erklärt er.


Zu schätzen wissen das seine thailändischen Gäste ebenso wie die Reisenden, von denen manche schon seit Jahrzehnten immer wieder ins Hemlock kommen. Jahrzehnte sind das, in denen der Gastwirt und seine Stammgäste beobachten konnten, wie sich das Reiseland Thailand verändert hat. „In unserer Tourismusindustrie gibt es keinen Plan und keine Kontrolle“, schimpft Peti Kulsirorut. „So wird die Schönheit zerstört.“


Immer häufiger, so erzählt er, kämen Gäste am Ende ihrer Reise zu ihm und klagten darüber, was aus ihren alten Lieblingsorten geworden ist. Alles verändert sich, alles wird voller, aber immerhin gibt es ja noch das Hemlock. „Wenn sie enttäuscht sind“, sagt Peti Kulsirorut, versuche ich wenigstens, sie hier dafür zu entschädigen - mit gutem Essen zu einem guten Preis.“


Bangkok, Dezember 2025

1 Kommentar


m.schick
06. Dez.

Kunst aus der Küche: „das muss man sich als Gast verdienen“ klingt nach einem vernünftigen Plan 💪

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