Malaysia: Tea Time in Tanah Rata
- nanetulya
- vor 12 Stunden
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Teeplantage in den Cameron Highlands
Wer etwas auf sich hält in diesem Königreich, der sitzt irgendwann zwischen drei und fünf beim Tee. Die Tea Time am Nachmittag wird in einem feineren Hotel in George Town genauso gepflegt wie im rustikalen Lord‘s Café an der Hauptstraße von Tanah Rata. Dort füllt sich zur gebotenen Zeit die Gaststube wie von Zauberhand, und zum Tee werden butterweiche Scones gereicht, mit Sahne und mit selbst gemachter Erdbeerkonfitüre. Very british - und sehr malaysisch.
Denn der Tee kommt in der Wahl-Monarchie Malaysia aus eigenem Anbau. Und er ist weit mehr als nur Getränk: Er ist der heißeste gemeinsame Nenner in einem Vielvölkerstaat mit 35 Millionen Einwohnern, in dem Malaien, Chinesen, Inder und etliche weitere Ethnien in offenkundiger Harmonie zusammenleben. Der Teekessel dient dabei als Schmelztiegel der Nation.
Erkunden lässt sich das am besten rund um Tanah Rata in den Cameron Highlands, wo sich die Teeplantagen über Hunderte Hektar ausbreiten. Das Hochland nördlich der Hauptstadt Kuala Lumpur hatten die britischen Kolonialherren schon früh als Erholungsgebiet für tropengeschädigte Abgesandte entdeckt. Schließlich sind die Temperaturen hier oben auf 1500 bis 2000 Metern deutlich angenehmer als an der schwül-heißen Küste. Nebelschwaden und Sprühregen haben zudem ein wenig Heimat-Illusion geschaffen. Gepflegt wird das bis heute noch mit falschen Fachwerk-Häusern im Tudor-Stil und einem Golfplatz, für den reichlich Regenwald gerodet werden musste.
Ende der 1920er Jahre verschlug es auch einen Schotten namens John Archibald Russel hierher. Mit britischem Kennerblick entdeckte er das Potential des Hochlands für den Tee-Anbau: der Boden fruchtbar und leicht säurehaltig, das Klima so ausgewogen, dass die Blätter der Camellia sinensis, der Teepflanze, süß und aromatisch heranreifen können.
1929 gründete Russel hier die erste Teeplantage. Bis heute ist das Unternehmen „BOH Tea“ im Familienbesitz, in dritter Generation wird es von der Enkeltochter des Gründers geführt. Und so, wie die schottischen Russels inzwischen längst die malaysische Staatsbürgerschaft haben, so spiegelt sich in ihrem Tee-Imperium die Geschichte des Landes.
Denn für die Tee-Produktion wurden - ebenso wie zuvor schon für die Zinnminen oder die Kautschuk-Plantagen - Arbeiter gebraucht, und die kamen erst aus China und dann aus Indien, vor allem aus dem südlichen Tamil Nadu und aus Kerala. Mit Schiffen wurden sie ins Land gebracht, ein endloser Strom an billigen Kräften. „So sind auch meine Großeltern hierher gekommen“, sagt Kalidasan Subramanien. „Und ich bin jetzt schon in der dritten Generation Malaysier.“
Weil sein Name, wie er sagt, „so kompliziert“ sei, nennen ihn alle nur Das, als Abkürzung aus dem Vornamen Kalidasan. Zu Hause wird Tamil gesprochen, es wird indisch gekocht und zu den Hindu-Göttern gebetet. Aber draußen kommt alles zusammen, mit den Freunden, die Muslime sind oder Buddhisten, Taoisten oder Christen. Malaysia, das ist für ihn die Mischung. „Wir feiern alle Feste gemeinsam“, sagt er, „so macht das Spaß.“
Die Großeltern hatten noch auf der Teeplantage gearbeitet, hatten die Blätter mit der Hand gepflückt für einen Hungerlohn. Für den Enkel aber, 32 Jahre alt, ist das fast nur noch Familien-Folklore. Er lehnt lässig an einem schwarzen Jeep, schaut über die Felder - und erklärt als Tourguide den Touristen den Tee-Anbau in seiner Heimat, in den Cameron Highlands.
Wie eine grüne Welle ziehen sich die Teesträucher die Hügel hoch soweit das Auge reicht. Wer hinein geht ins Gelände, steht hüfthoch zwischen den bemoosten Stämmen, aus denen in endloser Fülle die Blätter sprießen - saftig, spitz, mit kleinen Zacken. „Geht nicht zu weit rein“, ruft Das schon bald, „denkt an die Schlangen, Spinnen und Skorpione.“
Die Arbeiter stapfen deshalb mit hohen Gummistiefeln durch die Plantage. Gastarbeiter sind es heute, die mit Zeitverträgen aus Myanmar, Bangladesch oder Indonesien kommen. Man sieht sie in der Ferne nur als kleine, weiße Punkte bei der Ernte. Weiß sind die Plastiksäcke, in die sie die Teeblätter stopfen. 40 Kilogramm passen in einen Sack. Gepflückt wird nicht mehr per Hand, sondern mit Schneidemaschinen, die großen Gartenscheren ähneln. „Ein guter Pflücker schafft damit 200 Kilo am Tag“, sagt Das.
Entlohnt wird nach Gewicht, pro Kilo gibt es 35 malaysische Cent. 200 Kilo also bringen 70 Ringgit am Tag, umgerechnet knapp 15 Euro. „Für die Arbeiter ist das viel Geld“, meint Das. „Den Lohn schicken sie nach Hause zu ihren Familien.“ Wohnen immerhin können sie kostenfrei in den roten Baracken direkt neben der Plantage. Und dafür, dass ihnen die Arbeit nicht ausgeht, sorgen schon die Teesträucher. „Nach drei Wochen sind die Blätter wieder nachgewachsen“, erklärt Das. „Wenn die Arbeiter oben auf dem Hügel fertig sind, können sie unten wieder anfangen.“ Man muss sich Sisyphos also als Plantagenarbeiter vorstellen.
Auch die Fabrik zur Teeproduktion, die mitten in den grünen Hügeln liegt, wird weitgehend von den Gastarbeitern betrieben. In den Hallen tuckern die Maschinen und knattern die Förderbänder wie in frühindustrieller Zeit. Es riecht nach frisch geschnittenen Pflanzen, wie nach dem Rasenmähen, nur mit Tee-Aroma. Die Blätter werden hier gerollt, gebrochen und getrocknet - für schwarzen und für grünen Tee. Alles kommt vom selben Strauch, der Unterschied liegt allein in der Behandlung. Schwarzer Tee wird vollständig fermentiert, so bekommt er seine dunkle Farbe und den kräftigen Geschmack. Grüner Tee ist nicht fermentiert und erhält sich so die Farbe und die Frische.
Aus den BOH-Plantagen stammen zwei Drittel der malayischen Teeproduktion. Ein Teil wird exportiert, doch das meiste trinken die Malaysier selbst - zur Tea Time oder einfach zwischendurch, als schwarzen, grünen oder Eistee, und am liebsten natürlich als „teh tarik“. Das ist ein Sud aus starkem, schwarzen Tee, der mit süßer Kondensmilch vermischt und dazu mehrmals von einem Gefäß ins andere geschüttet wird. Die Inder hatten das Rezept einst ins Land gebracht, heute ist der teh tarik das inoffizielle Nationalgetränk Malaysias.
Jeder trinkt es. Fast jeder. Nur nicht Kalidasan Subramanien, den alle nur Das nennen. Seine Wurzeln mögen in Indien liegen, sein Geld verdient er als Tourguide in den Plantagen. Doch er trinkt weder teh tarik noch schwarzen oder grünen Tee. „Ich kann nach Tee nicht schlafen“, sagt er. „Da trinke ich lieber ein Bier und schlaf danach gut ein.“
Tanah Rata, Dezember 2025



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