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Laos II: Berlin? Bearlin!

Aktualisiert: 29. Okt.

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Lan Douang Simma und ihre Bearlin-Bungalows



Die garantiert beste Currywurst in Indochina serviert Lan Douang Simma auf ihrer grün-umrankten Terrasse. Perfekte Pommes, einen grandiosen Bergblick und ein fröhliches Lachen gibt‘s noch dazu. Die Soße ist selbstgemacht, die Wurst - mit Darm! - außen kross und innen saftig. Für Reisende ist das ein kleiner Küchengruß aus der Heimat. Für Lan ist es ein Brückenschlag von einem Leben ins andere. Vom Leben in Laos zum Leben in Deutschland und zurück. Und das, so sagt sie, ist eine „laaange Geschichte“.


Enden tut diese Geschichte, vorläufig zumindest, bei der Wurst in Vang Vieng. Das 35.000-Einwohner-Städtchen wird als Abenteuerspielplatz von Laos gründlich vermarktet, mit Klettern und Höhlenwandern, Rafting und Tubing, Quadfahrten und motorisierten Gleitschirmflügen. Rings herum aber liegt eine Landschaft voller Ruhe, die auf einem Gemälde wohl wie purer Kitsch wirken würde. Zu schön fast, um wahr zu sein: Reisfelder und dicht bewachsene Karst-Kegel, durch die sich gemächlich ein Fluss windet.


Als Lan zusammen mit ihrem Mann nach Vang Vieng kam, war sie gebannt von dieser Schönheit. Als sie ein Schild sahen mit der Aufschrift „Land zu verkaufen“, da sagte sie zu ihm: „Dong, ich muss dieses Land haben.“ Heute stehen darauf elf Ferien-Bungalows, auf einem fein getrimmten Rasen inmitten von tropischen Pflanzen. „Welcome to Bearlin Bungalow“, heißt es auf dem Eingangsschild. Das englische Bear steht für den Berliner Bären, der auf dem Schild zusammen mit dem schönsten Berg der Gegend zu sehen ist. Jeder Bungalow trägt das Wappen eines Berliner Bezirks. Im Restaurant auf der Terrasse wird für Berliner Bier geworben. Schräg? Vielleicht, aber vor allem: stimmig.


Bis zu diesen Bungalows in Vang Vieng führt ein wendungsreicher Weg, auf dem Schicksal, Weltpolitik und Willkür die Markierungen gesetzt haben. Er beginnt für Lan Douang Simma mit einer Kindheit im Krieg, den die Amerikaner ihr und Indochina aufgezwungen haben, weil im fernen Washington beschlossen worden war, dass man die Region nicht den Kommunisten überlassen könne. Als Vietnamkrieg steht das in den Geschichtsbüchern, doch auch in Laos hat dieser Krieg furchtbar gewütet.


Die USA hatten sich hier schon in den Fünfzigerjahren festgesetzt, gleich nach dem Ende der französischen Kolonialzeit. Die CIA brachte viel Geld und viele Waffen ins Land. 1964 schließlich begannen die Amerikaner den Luftkrieg über Laos - mit dem Ziel, den durchs Land verlaufenden Nachschubweg der vietnamesischen Kommunisten, den legendären Ho-Chi-Minh-Pfad, zu zerstören. In neun Jahren bis zum Waffenstillstand 1973 warfen sie über Laos mehr als zwei Millionen Tonnen Bomben ab. Pro Kopf der Bevölkerung wurde Laos so zu dem am meisten bombardierten Land der Welt. Noch heute, mehr als fünfzig Jahre später, sind Dörfer, Felder und Wege durch Streumunition verseucht.


Das Ergebnis dieses anti-kommunistischen Kampfeinsatzes: Ungefähr 200.000 Menschen starben allein in Laos, und am Ende übernahmen so wie in Vietnam und in Kambodscha auch hier 1975 die Kommunisten die Macht. Deren Gegner wurden dann in sogenannte Umerziehungslager gesteckt, Tausende kamen dort zu Tode. Rund zehn Prozent der laotischen Bevölkerung floh über den Mekong nach Thailand. Unter ihnen war auch die Familie von Lan Douang Simma.


Die Eltern, die Oma und Lan samt sechs Geschwistern landeten nach einer gefahrvollen Flucht in einem thailändischen Auffanglager. „Egal wo, ob in Asien oder Europa, schön war das nicht“, sagt Lan lapidar. Eigentlich wollten sie nach Frankreich, dort lebte ein Onkel. Frankreich aber wollte sie nicht, stattdessen tat sich ein Weg nach Deutschland auf. „Germany, um Gottes willen“, das haben sie damals gedacht.


1979 kamen sie in Berlin an, „Westberlin“, stellt Lan klar. 14 Jahre war sie damals alt. Sie ging zur Schule, der Vater fand Arbeit in einer Schokoladenfabrik, bald lebten sie in einer eigenen Mietwohnung. Sie erinnert sich an ein Deutschland mit Willkommenskultur: an eine Flüchtlingshelferin, „eine ganz tolle Frau“. An das Hertie-Kaufhaus, das Flüchtlingskinder zu Schulbeginn eingeladen und kostenlos mit Büchern, Heften und Stiften versorgt hat. „Wir sind damals wirklich verwöhnt worden“, sagt sie.


Nach der Schulzeit machte sie eine Ausbildung zur PTA, zur Pharmazeutisch-technischen Assistentin, und arbeitete anschließend in einer Apotheke. Sie gründete eine Familie: Sie aus Südlaos, er aus Nordlaos, gefunden haben sie sich in Berlin. Die zwei Töchter, sagt sie, sind „sehr deutsch“. Doch ihren Mann plagte, trotz eines guten Jobs in der IT, das Heimweh. 2009, nach 30 Jahren in Berlin, ging sie mit ihm zurück nach Laos.


„Wir machen alles, um Geld zu verdienen, auch Tuktuk fahren, wenn es sein muss“ -  mit dieser Haltung sind sie zurückgekehrt. Doch sie hatten Glück, natürlich das der Tüchtigen, und fanden beide bald Jobs bei deutschen Unternehmungen. Sie lebten in der Hauptstadt Vientiane. Nebenher eröffneten sie noch ein Restaurant, das sie „Berliner Bär“ nannten. Freitags war Skatabend, einmal im Jahr wurde Oktoberfest gefeiert.


Lan jedoch fand nur schwer hinein in das Leben in der alten Heimat. „Das ist ganz anders hier, nicht so viel Stress“, sagt sie. „Aber manchmal ist mir das zu entspannt.“ Kultur fehlte ihr, die deutsche, mit Kinos und Theatern. Wirtschaftlich geht es zwar schon länger bergauf in Laos. Aber die kommunistische Führung orientiert sich an China, mit ökonomischer Öffnung und einer fest zementierten Einparteienherrschaft. „Wenn man sich nicht in die Politik einmischt, dann lebt man hier besser“, sagt Lan und hält sich dran.


Fünf Jahre nach der Rückkehr, so erzählt sie, wollte sie eigentlich wieder zurück nach Deutschland, zurück nach Berlin. Doch dann sahen sie das Schild in Vang Vieng, sie kauften das Land und bauten die Bungalows. Nach Deutschland flogen sie nur noch zu Besuch, zum Beispiel, um das neugeborene Enkelkind zu begrüßen. 2021 war das, und ihr Mann Dong kehrte nicht mehr zurück von dieser Reise. „Die Aorta ist geplatzt, ganz plötzlich“, sagt Lan. „Das Enkelkind kam, und er ist gegangen.“


Wohin sie selber nun gehen oder ob sie bleiben sollte in Berlin, war für ein paar Monate in der Schwebe. Dann flog sie doch zurück nach Laos, zu den Bearlin Bungalows. Zusammen mit fünf jungen Angestellten betreibt sie nun die Anlage. „Sie sind wie meine Kinder“, sagt sie. „Sie sind ganz lieb und ganz fleißig.“


Sie ist nun 61 Jahre alt. Die Hälfte ihres Lebens hat sie in Laos, die Hälfte in Deutschland verbracht. Heimat ist beides. Manchmal beides ganz, manchmal beides nur halb. „Wenn ich in Laos bin, vermisse ich meine Familie in Deutschland“, sagt Lan Douang Simma. „Und wenn ich in Deutschland bin, vermisse ich Laos.“


Vang Vieng, Oktober 2025


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