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Türkei: Zeitreise auf dem Hippie-Trail

Aktualisiert: 20. Juli

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Ganz still sitzt er vor seinem Lokal, ein Glas Tee in der Hand und alles im Blick: die Autos, die sich draußen durch die Straße schieben, die Menschen, die vorbeihasten zwischen Blauer Moschee und Hagia Sophia - und ganz besonders natürlich jene, die vom Trottoir aus abbiegen und an ihm vorbei den „Pudding Shop“ betreten. Zufrieden schaut Namik Çolpan ihnen hinterher und sagt: „Weltberühmt sind wir.“


Tatsächlich hat er recht, und er muss es auch wissen, denn ihm gehört der Laden schließlich. 1957 hat er ihn eröffnet, zusammen mit seinem Bruder Idris - und keiner konnte damals ahnen, was aus diesem kleinen Lokal im Istanbuler Stadtteil Sultanahmet und überhaupt aus der ganzen Welt bald werden würde. Es kamen die Sechzigerjahre, es wütete der Vietnamkrieg, und eine aufmüpfige Generation ging auf Reisen in Richtung Indien. Auf ihrem Weg, dem Hippie-Trail, gab es ein paar Meilensteine. Einer davon war der Pudding Shop. Hier traf man sich, hier hing man ab, bevor es weiter ging über Kabul und den Khyberpass und dann nach Goa oder Rishikesh. Kurzum: Wer jemals von Freiheit geträumt und das Haar hat wachsen lassen, der sollte den Pudding Shop kennen.


Ein Blumenkind ist Namik Çolpan nie gewesen, auch die alten Fotos zeigen ihn stets streng frisiert. Doch offenkundig mochte er die jungen Leute aus aller Welt, die sich ausgerechnet diesen Ort zum Hippie-Hauptquartier erkoren hatten. Er hat ihnen sogar erlaubt, dem Lokal einen anderen Namen zu verpassen. Denn eigentlich ist dies das Lale-Restaurant, aber das konnte sich die Kundschaft wohl nicht merken. Was sich jeder leicht hat merken können, waren die leckeren Süßspeisen und vor allem den Pudding mit Reis und Zimt.


Der Name ist dann zur Marke geworden, den Pudding gibt es heute noch. Vom alten Flair jedoch ist wenig mehr geblieben als die Fotos von damals an der Wand - und natürlich das sagenumwobene Schwarze Brett rechts neben der Theke. Als es noch kein Internet gab, war dies die Infobörse, das Inter-Brett. Hier wurden Nachrichten hingepinnt für nachfolgende Reisende. Es ging um Liebe oder Abschied, vor allem aber um Angebote oder Anfragen zur Weiterreise auf dem Hippie-Trail.


Heute wird auch an der Pinnwand die Nostalgie gepflegt. Man weiß, was man dem Laden schuldig ist. „Elmar und Anna waren hier, Love and Peace“, steht da. Ein anderer hat ein Foto vom Dalai Lama hinterlassen, damit macht man nie was falsch. Und ein britischer Gast, er oder sie, erinnert auf einem Zettel an den ersten Besuch anno 1975. „Nun bin ich zurückgekommen mit meiner Tochter“, steht da. „Ich bin so froh, dass das Schwarze Brett noch da ist.“


Viel gelobt und viel geschwelgt wird hier. Doch wer nicht aufs Schwarze Brett schaut, sondern in dieses Internet, merkt schnell, dass die Welt da draußen eine andere geworden ist. Weniger Blumen, mehr Dornen. Auf Tripadviser kommt der Pudding Shop gerade mal auf 3,5 von 5 Sternen, und ausgerechnet die „Atmosphäre“ wird nur noch mit mäßigen 3,2 bewertet. Vom „schlechtesten Essen in Istanbul“ schreibt einer, und eine andere warnt: „Geht da nicht hin.“


Es stimmt ja auch, der Pudding Shop ist ein verblasster Mythos, und die Marke wird zu Geld gemacht, so gut es geht. Wenn Touristen kommen oder ganze Reisegruppen, werden sie von den Kellnern abgefüttert mit allem, was die schnelle Küche hergibt. Wo früher alles entschleunigt war, herrscht heute Hektik bei Hochbetrieb. Und die Musik, die aus den Lautsprechern quillt, lässt sich wohl nicht mal mehr bekifft genießen.


Doch was sollen sie denn anderes machen im Pudding Shop, als die eigene Patina zu polieren? Im schicken Expresso-Lab nebenan gibt es gewiss den besseren Kaffee, in den umliegenden Dachterrassen-Lokalen den besseren Blick auf Kuppeln und Minarette. Hier gibt es nur den Pudding von gestern. Aber es gibt auch noch Namik Çolpan, den Wirt, der für die alten Zeiten steht, der die alten Geschichten in sich trägt. Und wenn der Ansturm zum Mittag vorbei ist, wenn er ein wenig Zeit und Muße hat, dann werden sie auch wieder lebendig.


„Heute bin ich ein alter Mann“, sagt er. Aber natürlich kommt er immer noch jeden Tag in sein Lokal, und beim Erzählen wird er wieder jung. „Dahinten haben sie ihre VW-Busse geparkt“, erklärt er dann und zeigt die Straße runter. „Und was sie heute gegessen haben, haben sie morgen bezahlt, das war kein Problem“. Zwei Bücher zieht er noch hervor, in denen Erinnerungen an den Pudding Shop festgehalten werden, eins auf türkisch, eins auf deutsch. Das türkische signiert er als Geschenk. „Die Hippies“, sagt er, „waren gute Leute.“


Istanbul, Juli 2025

 
 
 

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