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Thailand: Spätes Glück

Otto Keiser in Hua Hin
Otto Keiser in Hua Hin


Ein kleines Haus mit blauem Dach und ein üppig-grüner Garten - da ist Otto Keiser jetzt zu Hause. Auf die Wiese zeigt er und sagt: „Hier mache ich morgens Yoga“. An den Bananenstauden streift er vorbei und merkt an: „Die muss ich ernten, bevor die Affen kommen.“ Zu den kleineren Problemen zählen noch die Schlangen, die ab und an in der Küche vorbeischauen. Doch das erzählt er nur nebenher. Das fällt kaum ins Gewicht angesichts des Großen und des Ganzen: „Jeden Morgen sitzt ich hier und sag zu meiner Frau, wir leben im Paradies.“


75 Jahre ist Otto Keiser alt, ein eleganter Herr in weißen Leinenhosen und türkisfarbenem Polohemd, in dessen Knopfleiste die Ray-Ban-Sonnenbrille steckt. Seit zehn Jahren lebt er in Hua Hin, lebt als Rentner aus der Schweiz am Strand in Thailand - und wem das noch nicht Klischee genug ist, der kann von Otto Keiser auch noch erfahren, dass er seine thailändische Frau über eine Dating-Plattform kennengelernt hat. Dass er hierher gezogen ist, weil er für den Mietpreis seines Hauses „in der Schweiz gerade mal eine Garage“ bekommen würde.


Er lebt also gut und gern in Thailand - so wie Zigtausende Rentner aus Deutschland, aus der Schweiz und überhaupt aus aller Herren Länder, die sich den Traum vom „Ruhestand im tropischen Paradies“ verwirklicht haben. In ihrer alten Heimat wird das bestenfalls mit Neid und nicht selten mit Häme betrachtet. Denn jeder kennt ja die Geschichten von den Männern, die wegen billigem Sex und billigem Bier nach Thailand ziehen. Auch Otto Keiser kennt sie. Aber für Klischees interessiert er sich erstens grundsätzlich nicht. Und zweitens lebt jeder sein eigenes Leben, geht seinen eigenen Weg.


Gradlinig ist sein Weg nie verlaufen. Doch trotz oder vielleicht auch wegen der vielen Wendungen kann er rückblickend sagen: „Alles in meinem Leben ist irgendwie folgerichtig, auch wenn es immer wie Zufall ausieht.“ Hineingeboren wurde er in ein Wirtshaus am Gotthard. Die Schule und die Universität haben ihn wenig interessiert. Sein erstes Projekt war ein Antiquaritat in Lugano, da hat er die Bibliotheken der alten Villen rund um das Haus von Hermann Hesse entrümpelt. Danach hat er ein Weingut im Piemont betrieben. Doch die Ernte für seinen Bio-Wein war dann doch zu mager im Vergleich zu den anderen Winzern, die großflächig Gift verstreuten. „Da hab ich mich mal wieder übernommen“, sagt er heute dazu und lacht. Also ging er zurück in die Schweiz, wo er in Basel ein Cafe führte - erfolgreich, bis irgendwann der Mietvertrag nicht verlängert wurde. Zwei Jobs hat er danach parallel gemacht: Morgens im Museum, abends in der Bahnhofsbuchhandlung. „Das war ideal, weil ich morgens die Bücher lesen konnte, die ich abends verkauft habe“, sagt er.


Das klingt vergnüglich, aber natürlich ging es dabei auch ums Geldverdienen, denn er musste nicht nur sich selbst, sondern auch seine Tochter durchbrigen. Von ihrem  sechsten Lebensmonat an hat er sie allein großgezogen. „Sie ist das Einzige, was ich vermisse hier in Thailand“, sagt er.


Als die Tocher 21 war, kam er ins Rentenalter. „Ich muss noch mal was Neues machen“, hat er ihr gesagt, und dabei auch an diesen alten Spruch gedacht, den er noch vom Gotthard kennt: „Der Frosch im Tümpel weiß nichts vom Meer.“ Er wollte noch mal hinaus in die Welt, wollte ans Meer, wollte, wie er sagt, seinen „inneren Hippie ausleben“. So kam er nach Thailand, nur mit Handgepäck. Allein bleiben aber wollte er nicht. „Ich bin ein Familienmensch“, sagt er, „ich will zu jemandem schauen und Verantwortung spüren.“ Seine Frau brachte eine damals sechsjährige Tochter mit in die Ehe. Auch das gehört für ihn zum späten Glück.


In Hua Hin hat er sich ein neues Leben aufgebaut, und dieses Leben braucht vor allem eins: Struktur. Für ihn beginnt der Tag früh um fünf, da geht er schwimmen. Es folgt eine Stunde Yoga, das macht er schon seit 40 Jahren. Danach ist meist Zeit für einen Spaziergang barfuß am Strand. Im Stammcafe liest er dann die Bangkok Post. Um acht Uhr ist er wieder zu Hause, um das Frühstück zu machen, bevor seine Frau in die Arbeit geht. Er malt dann oder er schreibt, und zwischendurch macht er ein Nickerchen.


Geschrieben hat er früher schon, einen Roman hat er veröffentlicht und ein Theaterstück verfasst, das es auch als Hörspiel gibt. Heute schreibt er Kolumnen für eine Zeitung namens „Der Farang“, die so etwas wie das Fachblatt für die deutschsprachigen Migranten in Thailand ist. Eingehend befasst man sich dort mit all den Themen, die wichtig sind für die Klientel. Mit Rentnervisa also, mit Tipps zur medizinischen Versorgung oder Hinweisen, dass „im Beergarden Bramburi“ das Oktoberfest gefeiert wird.


Seine Kolumne trägt den Titel: „Thailand Mon Amour“, das kommt von Herzen. Meist widmet er sich auf humorige Art dem eigenen Alltag und dem Clash der Kulturen. Doch er kann auch ziemlich bissig sein, wenn er nach rechts und links schaut zu manch anderen aus dem Rentnertross. Vom „gestrandeten weißen Wal“ schreibt er dann, der am Strand von Pattaya rot anläuft, eimerweise Bier verzehrt und sich in diesem Zustand dann für unwiderstehlich hält.


„Damit habe ich mir den Hass einiger Farangs hier zugezogen“, sagt er, und wie immer lacht er dabei. Es fehlt ihm nichts, wenn diese Leute seither einen Bogen um ihn machen. Er hat ja seine Familie und dazu noch jenen Schweizer Ex-Diplomaten als Freund, mit dem er sich von Zeit zu Zeit auf ein Fondue im Garten trifft. Mehr aus der alten Heimat braucht er nicht. „Wenn man so viele Stationen durchgemacht hat in seinem Leben“, sagt er, „dann weiß man, wenn man angekommen ist.“


Hua Hin, September 2025



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