Griechenland II: Im Pool der Götter
- nanetulya
- 29. Juni
- 3 Min. Lesezeit

Drei kräftige Züge noch bis zum Beckenrand, einmal noch einatmen und dann die Wende. Wie herrlich ist es, wenn man die Meerluft einsaugt, wenn einen das Salzwasser trägt, wenn man unten am Grund den Sand, die Steine und das Seegras sieht, wenn man sich fühlen darf wie ein Fisch unter Fischen - und das exakt 20 Bahnen lang. 20 mal 50 Meter, das ist schon mal eine schöne Trainingseinheit am Morgen. Und wo kann das noch schöner sein als in diesem Pool im Meer?
Ein Schwimbecken in den endlosen Ozean hinein zu bauen, das mag so wirken, wie einen Baum in einen dichten Wald zu pflanzen, oder auch: Eulen nach Athen zu tragen. Jener Spruch steht für die absolute Überflüssigkeit einer Handlung, und natürlich stammt er von den alten Griechen, genauer gesagt vom antiken Komödiendichter Aristophanes. Die neuen Griechen aber sind zum Glück da weiter. In Nafplio, der Hafenstadt auf dem Peleponnes, haben sie gezeigt, wie sinnvoll, ja sinnstiftend das vermeintlich Überflüssige sein kann.
Banieres, zu deutsch: die Badewannen, haben die Bewohner von Nafplio diesen Pool getauft, den der nautische Club des Städtchens in den Fünfzigerjahren am steilen Küstenstreifen unterhalb einer Burgruine angelegt hat, vermutlich auf Geheiß der Götter. Natürlich hat das Becken, nicht weit entfernt vom alten Olympia, das genaue olympische Längenmaß. Vorn und hinten ist es mit solidem Beton eingefasst, neun kreideweiße Startblöcke stehen auf jeder Seite. Als Abgrenzung zum Meer dient eine Reihe mächtiger Steine, mit einer Öffnung, die groß genug ist für den steten Zufluss frischen Wassers. „Wir veranstalten hier Wettkämpfe“, sagt Spiros Prountzos, „und wir spielen auch Wasserpolo.“
75 Jahre ist Spiros Prountzos alt, „vielleicht auch ein Jahr älter“, fügt er augenzwinkert an. Über seiner orangefarbenen Badehose wölbt sich ein stattlicher, gut gebräunter Bauch. Das Haar ist weiß, das Lächeln überaus freundlich. Gerade ist er aus dem Wasser gestiegen, hat sich ein wenig treiben lassen und dabei die Hitze vertrieben. Tropfnass steht er am Beckenrand, zufrieden mit sich und der Welt, die sich an diesem Pool zu einem eigenen Kosmos verdichtet.
Wer die Sehenswürdigkeiten googelt von Nafplio, der wird die Banieres kaum finden. Bekannt ist die Stadt für ihre Mischung aus venetianischer Architektur, osmanischen Badehäusern und orthodoxen Kirchen. Für drei mächtige Festungen, für liebliche Gassen, in denen die Bougainvilleas wuchern. Zum Schwimmen werden ein paar wohlgeformte Buchten außerhalb vom Zentrum empfohlen.
So bleiben die Banieres das Refugium der Bewohner. Hier trifft man sich, hier kennt man sich, und wenn einmal ein Fremder vorbeikommt, wird auch er mit einem herzlichen „Jassas“ begrüßt. Spätestens nach Schulschluss erobern die Kinder die Hoheit im Wasser. Zum Sundowner lassen sich dann die Jungen und Schönen in der Bar am Beckenrand nieder. Am Morgen aber gehört der Pool den Alten, die schon immer hier waren, und jenen, die ungestört ihre Bahnen ziehen möchten - mit einem Genuss, den vielleicht nur versteht, wer selbst zur Spezies der Schwimmer gehört.
Denn das Schwimmen ist ja weit mehr als nur gelenkschonendes Ausdauertraining. Schwimmen formt den Körper und die Seele. Es ist pure Freude und reine Meditation. Es ist, jawohl, eine Lebenseinstellung, und obendrein wird es noch von den Weight Watchers empfohlen.
Natürlich kann man auch im Hallenbad schwimmen, auch da lässt das Wasser die Gedanken fließen. Aber es müffelt dort doch meistens arg nach Chlor - der Viren, Bazillen und Pilze wegen. Fürs Freibad gilt das Gleiche. Wer also wirklich Freiheit sucht, der findet sie als Schwimmer nur im Meer. Dort allerdings ist man Wind und Wetter und der Strömung ausgesetzt, und manchmal auch dem weißen Hai. Das Idealmaß für die schwimmerische Freiheit also ist ein mit Meerwasser gefülltes 50-Meter-Becken, kurzum: Ideal sind die Banieres von Nafplio. Nirgends ist man im Wasser dem Himmel näher.
Spiros Prountzos kennt die Banieres schon von Kindheit an. „Früher sind wir hier das ganze Jahr geschwommen“, sagt er, „heute mache ich das nur noch von Mai bis November.“ Nach der Schule ist er hierher gegangen oder später nach der Arbeit als Anwalt. Mit seiner Frau war er hier und mit den beiden Töchtern. Die Kinder, so erzählt er, leben heute in Athen, die Frau ist vor zehn Jahren verstorben.
Einsam aber wirkt er nicht. An den Banieres ist er wie Daheim, hält hier ein Schwätzchen und wird dort mit einer Umarmung begrüßt. Als die Sonne schließlich im Zenit am Himmel steht, ist es für ihn an der Zeit, nach Hause zu gehen. „Jassas“, sagt er und winkt zum Abschied. „Habt eine gute Zeit und ein gutes Leben.“
Nafplio, Juni 2025
Kommentare