Griechenland: Die Juden von Ioannina
- nanetulya
- 17. Juni
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Die Synagoge liegt wie weggeduckt hinter einer hohen Mauer. „Baruch Hashem“, Gott zum Dank, steht auf Hebräisch in den Stein gehauen. Dies ist ein Ort des lebendigen Gebets gewesen. Heute ist es vor allem ein Ort des Erinnerns. „5000 Besucher kommen im Jahr hierher“, sagt Allegria Matsa am Telefon. „Sie kommen aus Israel, aber auch aus den USA, aus Schweden oder Frankreich.“ Doch wer ohne Voranmeldung kommt, der steht vor einer verschlossenen braunen Tür, auf der gleich zwei Schilder von örtlichen Security-Firmen prangen. „Aus Sicherheitsgründen haben wir nur auf Anfrage geöffnet“, sagt Allegria Matsa.
Ioannina, die Hauptstadt der Region Epirus im Nordwesten Griechenlands, hat eine beeindruckende Burganlage zu bieten, dazu den schönen Pamvotida-See - und die älteste jüdische Gemeinde in Europa. „Romanioten“ werden die hiesigen Juden genannt, und Allegria Matsa ist die Generalsekretärin dieser Gemeinde. „Die romaniotischen Juden“, erklärt sie, „haben ihre Riten und Gebräuche aus der Zeit vor der Zerstörung des Zweiten Tempels in Jerusalem mit hierher gebracht.“
Thessaloniki mag allein der Zahlen wegen das Zentrum des jüdischen Glaubens in Griechenland gewesen sein. „Mutter Israels“ wurde die Stadt genannt, seit sich Ende des 15. Jahrhundert bis zu 20.000 sephardische Juden hier ansiedelten, die aus Spanien und Portugal vertrieben worden waren. Die osmanischen Herrscher nahmen sie auf, weil sie die Wirtschaft und das Geistesleben bereicherten. Doch den jüdischen Glaubensbrüdern von den Romanioten, die schon seit der Antike in Griechenland beheimatet sind, galten sie eher als Zugereiste. „Wir haben keinerlei Einfluss vom sephardischen Judentum“, sagt Allegria Matsa bestimmt, „und das ist bis heute so, natürlich.“
Für die Nazis machte das keinen Unterschied. Sie ermordeten die sephardischen Juden von Thessaloniki und auch die Romanioten aus Ioannina. Am 25. März 1944, es war die Zeit des Pessachfests, gaben die deutschen Besatzer den Befehl an alle Juden in der Stadt, ihre Häuser zu räumen und sich binnen drei Stunden an einem Sammelplatz einzufinden. Lastwagen und Busse brachten die Menschen nach Larissa, von dort ging es mit dem Zug nach Auschwitz. 1850 Juden aus Ioannina wurden im Holocaust getötet. Nur 181 haben überlebt.
Ein Teil von ihnen hatte sich in den Wäldern versteckt und bei den Partisanen gekämpft. Auch die Eltern von Allegria Matsa waren so dem Vernichtungswahn der Nazis entkommen. Sie sind hinterher in Ioannina geblieben, ihre Tochter ist heute 75 Jahre alt. Doch die Gemeinde, der Allegria Matsa vorsteht, hat gerade noch 50 Mitglieder.
Anders als in Frankreich, wo mit 500.000 Menschen die größte jüdische Gemeinde in Europa lebt, oder auch im Täterland Deutschland, wo es wieder ein jüdisches Leben gibt mit mehr als 100.000 Gemeindemitgliedern, sind die Juden in Griechenland marginalisiert geblieben. Mehr als 60.000 von ihnen waren im Holocaust ermordet worden. Heute leben nur noch 5000 Juden im ganzen Land. In Thessaloniki, wo sie einst die Mehrheit der Bevölkerung stellten, liegt ihr Anteil nun bei 0,3 Prozent.
Doch Ioannina ist auch hier eine Besonderheit: 2019 wurde in der Stadt der erste jüdische Bürgermeister Griechenlands gewählt. Moses Elisaf, ein Arzt und parteiloser Politiker, hatte sich im Wahlkampf noch als „Mossad-Agent“ schmähen lassen müssen. Seinen Sieg erklärte er dann zum Beleg dafür, dass „die alten Stereotypen und Vorurteile besiegt“ seien. „Er hat viel für uns getan“, meint Allegria Matsa. Leider verstarb er schon 2023 in seiner ersten Amtszeit mit nur 68 Jahren.
Doch auch der jüdische Bürgermeister hatte das jüdische Leben in Ioannina nicht aus dem Schattendasein holen können. Einen eigenen Rabbi gibt es hier nicht mehr und auch keinen Kantor. Die alte Synagoge gleicht eher einem Museum und wird gern für Konzerte genutzt. „Religiöse Zeremonien finden nur noch zu hohen Feiertagen statt“, erzählt Allegria Matsa. „An Jom Kippur, da ist die Synagoge voll. Es kommt ein Rabbi aus Athen und wir haben jüdische Besucher aus der ganzen Welt.“
Die Überlebenden des Holocaust waren meist nach Israel emigriert oder auch in die USA. Romaniotische Partner-Synagogen mit Thora-Rollen aus Ioannina gibt es ^in Jerusalem und in New York. Die Nachfahren sind es, die heute oft als Touristen in die Stadt kommen, auf der Suche nach den Wurzeln, nach verlorenen Spuren. Sie finden in Ioannina die alte Synagoge und auch ein steinernes Denkmal, das an die 1850 ermordeten Juden der Stadt erinnert. Sie tauchen ein ins Dunkel der Vegangenheit, doch wenn sie durch die Straßen gehen, sehen sie auf nicht wenigen Mauern in diesen Tagen auch Graffiti, die „Free Palestine“ fordern und dazu einen Schriftzug, eigens auf Hebräisch angebracht: „Israel rozachat“ - Israel mordet. „Das ist neu“, sagt Allegria Matsa.
Ioannina, Juni 2025
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