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Griechenland III: Als Flüchtling im Ferienparadies


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Wenn Zaki einmal raus muss aus seinem Refugium, dann stellt er sich auf das Schlimmste ein: Dass er angerempelt wird. Dass sich Leute demonstrativ die Nase zu halten, wenn sie an ihm vorbeigehen. Dass sie rufen: Geh zurück, wo du herkommst. Wir wollen dich hier nicht.


Oft genug, so sagt er, hat er das schon erlebt, seitdem er 2017 als Flüchtling auf die griechische Insel Lesbos kam. Mytilini, die lebhafte Inselhauptstadt, ist für ihn stets heikles Terrain. Doch Zaki, der aus Vorsicht nur seinen Vornamen nennen will, hat eine List ersonnen: „Wenn mich einer fragt, wo ich herkomme, dann antworte ich: aus China, manchmal auch aus Korea“, erzählt er. „Dann sind alle sehr freundlich und sagen: Willkommen!“


Ein Tourist, der nach Lesbos kommt, ist ein gern gesehener Gast. Ein Flüchtling, der auf Lesbos strandet, ist für viele pure Last. Wie inhuman und absurd diese Einteilung in zwei Welten auf einer kleinen Insel ist, wird leicht entlarvt, wenn man wie Zaki einfach mal die Identität wechselt. Er stammt aus Afghanistan, 1991 wurde er in Kabul geboren - und als Chinese oder Koreaner kann er sich recht glaubhaft ausgeben, weil er zur Volksgruppe der Hazara gehört. Die führt ihre Abstammung auf Dschingis Khan zurück, den Mongolen-Herrscher aus dem 13. Jahrhundert. Auf Lesbos also kann sich Zaki, aus lauter Not, den asiatischen Einschlag zunutze machen. In Afghanistan hat ihn das zur Flucht gezwungen.


Dort am Hindukusch sind die Hazara seit jeher Außenseiter, seit mehr als hundert Jahren schon erleben sie Pogrome durch die paschtunischen Herrscher. Auch die Taliban sind sunnitische Paschtunen, und sie haben die hazarische Minderheit zum Feind und Sündenbock gemacht - weil sie Schiiten sind, weil sie anders sind. Wenn die Taliban herrschen, werden die Hazara unterdrückt. Wenn die Taliban gerade einmal nicht herrschen, werden sie zum Opfer von Terrorangriffen.


Deshalb hat Zaki die Flucht ergriffen aus Afghanistan. Durch Iran ist er in die Türkei gelangt, auf schwierigen Wegen, immer allein. An der türkischen Mittelmeerküste stieg er schließlich in ein Schlauchboot, zusammen mit 40 anderen. 1000 Dollar hat die Überfahrt für jeden gekostet. Neun Kilometer sind es an der engsten Stelle nur bis nach Lesbos, von Asien nach Europa, in die gelobte EU. „37 Minuten hat die Überfahrt gedauert“ - so exakt bemisst er die Zeit, so genau kann er sich an jeden Moment erinnern. Es waren 37 Minuten voller Angst, denn Zaki kann nicht schwimmen.


2015, auf dem Höhepunkt dessen, was in Europa die „Flüchtlingskrise“ genannt wird, kamen über diese Route oft Tausende am Tag. In den Schlagzeilen wurde Lesbos schnell zur „Albtrauminsel“, und das sollte alle einschließen: Die Flüchtlinge, die in horrender Zahl im Mittelmeer ertranken. Die Urlauber, deren Strandidyll plötzlich von angeschwemmten Schwimmwesten bedroht wurde. Die örtlichen Hoteliers, deren Unterkünfte deshalb leer blieben.


Zehn Jahre später mögen die Zahlen gesunken sein, es gibt verschärfte Regeln und andere Routen. Aber immer noch kommen Flüchtlinge zu Tausenden auf Lesbos an, immer noch kreuzen sich hier zwei Wanderbewegungen, die konträrer kaum sein könnten: Die einen liegen am Strand, die anderen landen im Lager. Fremdenverkehr trifft auf Fremdenangst.


Es ist ein globales Problem, mit dem sich viele auf Lesbos alleingelassen fühlen und überfordert. Manche der Bewohner haben darauf mit jener Feindseligkeit reagiert, die Zaki immer wieder zu spüren bekommt. Ein paar andere aber haben gehandelt und geholfen - so wie Daphne Vloumidi. Seit mehr als 30 Jahren schon betreibt sie mit ihrem Mann das Strandhotel Votsala, und gemeinsam mit ein paar deutschen Stammgästen hat sie eine Organisation gegründet, die den Flüchtlingen Unterstützung anbietet. Odysseas haben sie ihre NGO genannt, das ist der neugriechische Name von Odysseus, dem antiken Helden, der eine Irrfahrt zu durchleiden hatte.


Auch Zaki hat Hilfe bekommen von Odysseas. Nach der Ankunft auf Lesbos lebte er für zwei Jahre im berüchtigten Lager Moria, das für die Flüchtlinge zum Synonym geworden ist für die Vorhölle. „Es ist das schlimmste Camp der Welt“, sagt er. An 28 Menschen in einem Zimmer erinnert er sich, gestapelt in dreistöckigen Betten. An drei Stunden Anstehen für die Essensausgabe. An ständige Kämpfe zwischen Afghanen und Arabern. Für 2500 Flüchtlinge war Moria ausgelegt. Als das Lager 2020 abbrannte, landeten 12.000 Menschen obdachlos auf den Straßen von Lesbos.


An einen einzigen schönen Tag aus der Zeit im Lager kann Zaki sich erinnern. Daphne Vloumidi hatte ihn zusammen mit anderen aus Moria zu einem Tagesausflug ins Hotel Votsala eingeladen. Es wurde gegrillt, sie spielten Fußball, sie waren willkommen. Als Zaki Ende 2018 endlich einen positiven Asylbescheid bekam, fragte er im Votsala nach einem Job. So wurde der Flüchtling, der übers Meer kam, zum Kellner im Strandhotel.


Es ist kein Traumjob. Geträumt hat Zaki immer davon, Ingenieur für Flugtechnik zu werden. „Aber unser Leben erlaubt das nicht“, sagt er auf der Hotelterrasse. Klagen aber will er nicht, und selbst von den schlimmsten Erfahrungen berichtet er mit einem Lächeln, in dem sich Hilflosigkeit mischt mit dem Mut, immer weiter zu machen. Er ist froh darüber, dass er Freunde gefunden hat unter den Arbeitskollegen im Votsala. Und er freut sich auch über Gäste aus Deutschland, England oder Italien, die sich für seine Geschichte interessieren. Von seiner Flucht erzählt er dann und davon, dass er Afghanistan, seine Heimat, trotz allem immer noch liebt. Aber eigentlich würde er auch hier im Hotel gern mal die Rollen wechseln, sagt er mit diesem Lächeln „Dann stelle ich mir vor, wie das wäre, wenn wir aus Afghanistan mit viel Geld als Touristen kommen würden.“

Lesbos, Juli 2025


 
 
 

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