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Usbekistan: Ein Nachmittag mit Nasreddin

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Kennen Sie den? Kommen die Männer des Dorfs zu Nasreddin, dessen Esel entlaufen ist. Sie wollen ihm bei der Suche helfen, doch Nasreddin lädt entspannt zum Tee. „Bist du denn gar nicht besorgt darüber, dass dein Esel weg ist“, fragen sie. „Nein, ich bin sehr glücklich“, antwortet Nasreddin. „Denn Gott sei Dank habe ich nicht auf dem Esel gesessen, sonst wäre ich jetzt auch verschwunden.“


Der Esel, so viel vorweg, ist wieder aufgetaucht. Hier in Buchara reitet Nasreddin wie eh und je auf seinem Rücken. Die Füße mit den Schnabelschuhen schleifen ein wenig über den Boden, doch er sitzt aufrecht auf dem Maultier, die rechte Hand am Herzen, die linke zum Gruß erhoben. So hält er Einzug in die Oasenstadt an der alten Seidenstraße, und dass er samt Esel nicht aus Fleisch und Blut, sondern in Bronze gegossen ist, tut nichts zur Sache. Schließlich ist in Buchara alles Märchen und Magie. Fakt ist: Der Esel ist wieder da und Nasreddin lebt.


Seit Hunderten von Jahren schon ist diese orientalische Schelmenfigur quicklebendig und nicht tot zu kriegen, in Tausendundeiner Geschichte ist dies belegt. Er wird geliebt in der gesamten muslimischen Welt - als Nasreddin Hoca in der Türkei, als Mollah Nasreddin in Persien, als Nasr-al-Din bei den Arabern und als Afendi bei den Usbeken. Er ist, so ähnlich wie Till Eulenspiegel, der fröhliche Narr, hinter dessen vermeintlicher Tumbheit sich stets eine tiefere Weisheit verbirgt. Ein Menschenfreund, nah am Volk, ein Held des Alltag. Schlagfertig ist er, respektlos und so subversiv, dass er selbst die größten Tabus mit Witz hinterfragen kann.


Noch einen also: Nasreddin umwirbt eine Frau, seit längerem schon. Eines Abends lauert ihm der Vater auf und fragt ihn streng: „Sag mir, was du für Absichten hegst bei meiner Tochter. Sind sie ehrlich oder sind sie unehrenhaft?“ Darauf Nasreddin: „Heißt das, ich hab’ die Wahl?“


Den Islam, den man gerade nicht so oft humorbegabt erlebt, zeigt Nasreddin von seiner witzigen Seite. Und bei ihm müssen es auch die Oberen erdulden, wenn er sie dem Spott preisgibt. „Wie viel würde ich wohl erbringen, wenn ich ein Sklave wäre“, fragt ihn einmal kokett ein Herrscher. „500 Silbermünzen“, erwiderte Nasreddin - und als der Mächtige sich darob erbost, dass allein seine Gewänder so viel wert seien, sagt Nasreddin: „Ja, das habe ich einberechnet.“


Wie jeder anständige Spaßvogel hat Nasreddin einen akkurat ausgestalteten Lebenslauf, der ihn als islamischen Gelehrten des 13. Jahrhunderts ausweist, mit Lebensmittelpunkt im Westen Anatoliens, wo ihm zu Ehren in Aksehir sogar ein Mausoleum errichtet wurde. Jenseits der Legenden allerdings ist seine historische Existenz nicht gesichert, und das darf als großes Glück betrachtet werden. Denn so bleibt reichlich Raum an vielen Orten, sich Nasreddin zu eigen zu machen. Die Türken mögen ihn als einen der Ihren sehen, aber die Usbeken können das auch.


Schließlich gibt es die Romane des Schriftstellers Leonid Solowjow und einen darauf basierenden sowjetischen Film von 1943, der den unwiderlegbaren Titel trägt: „Nasreddin in Buchara“. Außerdem gibt es - Beweis Nummer zwei - ebendort die bronzene Nasreddin-Statue, gefertigt vom jüdischen Bildhauer Yakov Shapiro, enthüllt im Jahre 1979. Und wie Nasreddin nach Buchara kam, ist ohnehin klar. Auf dem Esel natürlich, wie sonst.


Wer in Buchara einen Nachmittag mit Nasreddin verbringt, im Schatten der Maulbeerbäume auf einer Parkbank gegenüber, merkt überdies sehr schnell, dass er es mit den sonstigen Sehenswürdigkeiten der Stadt spielend aufnehmen kann. Das Kalon-Minarett, das Dschinghis Khan einst solche Ehrfurcht einflösste, dass er, ausnahmsweise, von der Zerstörung absah, mag älter sein und höher. Die blauen Kuppeln der Moscheen mögen mit dem Himmel um die Wette strahlen und die türkisfarbenen Kacheln der Medresen über jeden Schönheitsvergleich erhaben sein. Doch nirgends wird so vielen Menschen ein solches Lächeln ins Gesicht gezaubert wie hier bei Nasreddin und seinem Esel.


Der Schwanz des Tiers glänzt ohnehin wie pures Gold, glatt gerieben von all jenen, die glauben, nein wissen, dass es Glück bringt, den Esel am Schweif zu packen. Gleiches gilt für den Eselsrücken und den Schoß des weisen Narren, auf den die Kinder hochgehievt werden von den Eltern, weil das Leben hernach aus purer Freude bestehen soll.


Nichts und niemand jedenfalls wird in Buchara so oft fotografiert wie Nasreddin. Keiner kommt an ihm vorbei, ohne das Handy zu zücken. Ganze Großfamilien und Reisegruppen reihen sich vor ihm auf. Vom Esel aus erteilt der Afendi dabei auch heute noch dem Beobachter manche Lektion über das Leben. Über den hohlen Übermut des Menschen zum Beispiel, wenn sich ein ausgewachsener Tourist, fürs derbe Gelächter der Gefährten bloß, zu ihm hinaufschwingt auf den Esel. Oder über die Eitelkeit, wenn die Poser ihn und alles weitere in der Welt nur noch als Hintergrund betrachten für ihre selbstverliebten Selfies.


Nasreddin hält auch dabei still. Er ist für alle da, und alles erträgt er mit einem Lächeln im Gesicht. Doch der Schalk in seinen Augen verrät, dass er daraus sicher eine  gute Geschichte machen würde.


Buchara, August 2025

 
 
 

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