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Slowenien: Reise nach Jeruzalem

Aktualisiert: 17. Juni




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Hoch oben auf dem Hügel liegt der Ort, umrankt von grünen Reben, umgeben von sanfter Stille. Ist dies das Paradies auf Erden, die Stadt des himmlischen Friedens, wie es die heiligen Schriften verheißen? Na klar, das Ortschild lässt da keinen Zweifel: Jeruzalem steht da, Schwarz auf Gelb.


Dieses Jeruzalem allerdings schreibt sich mit „z“, und der kleine Buchstabe markiert den Unterschied. Jerusalem mit „s“ liegt im sogenannten Heiligen Land, es ist die Stadt Davids, Jesus starb hier am Kreuz, und auch der Prophet Mohammed kam vorbei und stieg auf seinem geflügelten Pferd gen Himmel auf. Jerusalem ist den Juden, Christen und Muslimen heilig, und genau damit fängt das Unheil an. Aus Jerusalem, der Stadt mit „s“, kommen immer nur schlechte Nachrichten, von Kriegen und Konflikten.


Aus Jeruzalem mit „z“ kommen gar keine Nachrichten. Kaum einer kennt den Ort im nördlichen Slowenien, 341 Meter über dem Meeresspiegel gelegen, bevölkert von 31 Einwohnern. Die Reben stehen hier in Reih und Glied, wie gründlich gekämmt sehen die Hügel aus. Sie leuchten, wenn die Sonne scheint, und bei Regenwetter ziehen Wolkenschleier geheimnisvoll durch die Täler. Jeruzalem ist das Zentrum des slowenischen Weinanbaus, und allein das ist eine Verheißung. Aber auch nüchtern betrachtet erscheint dieses Jeruzalem dem Sehnsuchtsort der Religionen weit näher zu kommen als das arg überschätzte Original.


Natürlich ist auch das slowenische Jeruzalem ein Ort der Legenden, und der Meister aller Mythen steht in einem kleinen Ladenlokal neben der Kirche. Weinflaschen, Honiggläser und allerlei Touristen-Tand werden hier angeboten. „Unser Ölivenöl wird bis nach Dubai verkauft“, sagt Raphael Pavlićić, und auch an israelische Urlauber kann er sich erinnern, die sich hier in Jeruzalem von ihm vor der Kirche fotografieren ließen. Völkerverständigung ist an diesem Ort eine Selbstverständlichkeit.


Pavlićić betreibt in Personalunion die Jeruzalemer Touristeninformation und den Laden mit regionalen Produkten. Nebenher ist er noch Winzer und Heimatforscher mit einem familieneigenen „Weinbau- und Bauernmuseum“. Die Gründung Jeruzalems datiert er auf das frühe 13. Jahrhundert. „Die Kreuzritter waren auf dem Heimweg aus dem Heiligen Land“, erzählt er. „Sie rasteten hier und fanden die Gegend so schön, dass sie ausriefen: Jeruzalem, Jeruzalem, dies ist der Ort für uns.“


Urkundlich vermerkt ist tatsächlich, dass ein gewisser Friedrich von Pettau aus altem steirischen Adelsgeschlecht das hiesige Hügelland im 13. Jahrhundert dem Deutschen Kreuzritter-Orden schenkte. Die heimkehrenden Glaubenskrieger fanden endlich einen Ort des Friedens - und einer weiteren Legende zufolge brachten sie aus dem anderen Jerusalem die Kopie eines Gemäldes mit. Das Bildnis der „schmerzensreichen Mutter Gottes“ ziert heute den Altar der barocken Ortskirche. Und natürlich birgt auch diese Pietà ein Geheimnis. Denn nicht nur Maria mit dem Leichnam Jesu ist zu sehen. Wer genau hinschaut, erkennt im Kopftuch der Mater Dolorosa noch ein weiteres Gesicht. Es soll die Fratze des Todes sein.


Diese Pietà machte Jeruzalem schnell zum Wallfahrtsort für all jene, die Maria um Schutz und Gnade ersuchten. Erst soll das Bild in einem von den Kreuzfahrern errichteten Turm gestanden haben. Dann wurde im 17. Jahrhundert die Kirche gebaut - von den Besitzern eines nahe gelegenen Schlosses, zum Dank dafür, dass sie von der Pest verschont geblieben waren.


So flossen die Jahrhunderte dahin. Die Türken tauchten zwischendurch mal auf und wurden - einer weiteren Legende zufolge - allein von den mutigen Frauen Jeruzalems vernichtend geschlagen. Ansonsten aber blieb es meist ruhig. Jeruzalem genoss seinen stillen Schattenplatz im Weltgeschehen. „Die Leute, die hierher kommen, spüren eine positive Energie“, glaubt Raphael Pavlićić.


Der Weinbau und der Wein-Tourismus ernähren die Bewohner, und sogar zu der hier vorherrschenden Weinsorte, dem Šibon, einem trockenen Weißen, weiß Pavlićić eine fantasievolle Geschichte zu erzählen. Der Name nämlich stamme aus den Zeiten Napoleons, als französische Soldaten durchs Land marschierten und den örtlichen Wein mit den Worten priesen: C‘est si bon - frei übersetzt ins Franko-Slowenische: Das ist ein Šipon!


Aber selbst dieses himmlische Jeruzalem bleibt nicht verschont von Heimsuchungen. Vor ein paar Jahren setzte sich ein fieser Schädling in den Weinbergen fest. „Die Blätter rollen sich ein, die Rebe trägt keine Trauben mehr und stirbt“, klagt Raphael Pavlićić. Viele Winzer, so berichtet er, hatten arg darunter zu leiden. Doch zum Glück sei es inzwichen wieder viel besser geworden. „Wir haben die Reben mit Chemie behandelt“, sagt er. Womöglich hat aber auch die Mutter Gottes mitgeholfen. Das ist ja schließlich Jeruzalem.


Jeruzalem, 31. Mai 2025  

 
 
 

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